Beckenringbruch

Häufigkeit: 2

Beckenringbruch (Beckenringfraktur, Beckenbruch): Bruch eines oder mehrerer Knochen, die den Beckenring bilden. Für Beckenringbrüche gibt es zwei Häufigkeitsgipfel: 20- bis 30-Jährige brechen sich das Becken vor allem bei Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Bei Menschen über 60 genügen aufgrund der verminderten Knochendichte bereits einfache Stürze im häuslichen Umfeld. Typische Beschwerden sind Schmerzen im Becken, Bewegungseinschränkungen und die Schonhaltung des Beins. Bei Schwerverletzten ist der Beckenringbruch oft Teil einer Mehrfachverletzung (Polytrauma).

Beckenringbrüche werden in der Klinik versorgt. Stabile Brüche können häufig konservativ mit Bettruhe und Physiotherapie behandelt werden, sie heilen dann – vor allem bei jungen Patient*innen – meist folgenfrei aus. Instabile Brüche erfordern eine Operation, um das Becken wieder zu stabilisieren. Je nach Ausmaß des Bruchs und eventueller Begleitverletzungen wie z. B. Nervenschädigungen können langfristige Folgen wie eine erektile Dysfunktion oder eine Harninkontinenz zurückbleiben.

Beckenringbrüche sind vor allem für alte Menschen gefährlich. Bis zu 27 % versterben daran. Auch die Gehfähigkeit lässt sich häufig nicht mehr komplett wiederherstellen.

Hinweis: Bei einem Beckenbruch im Bereich der Gelenkpfanne des Hüftgelenks (Acetabulum) spricht man von einer Acetabulumfraktur (mehr dazu siehe dort).

Symptome und Leitbeschwerden

  • Schmerzen in der Leiste, am Kreuzbein, über der Hüfte und/oder am Gesäß
  • Schmerzen bei Bewegung oder bei Stauchung des Beines
  • Erschwerte Bewegung im Hüftgelenk
  • Schief stehendes Becken, unterschiedliche Länge der Beine
  • Blutergüsse am Genital oder am Damm, Blut im Urin
  • Begleitverletzungen, vor allem im Rahmen eines Polytraumas.

Wann in die Arztpraxis

Sofort den Notarzt/Rettungsdienst rufen bei

  • einem Verkehrsunfall oder Sturz aus großer Höhe
  • oben genannten Beschwerden nach einem häuslichen Sturz.

Die Erkrankung

Der Beckenring besteht aus den beiden Hüftbeinen und dem untersten Teil der Wirbelsäule, dem Kreuzbein. Die Knochen sind ringförmig angeordnet: hinten sind rechtes und linkes Hüftbein jeweils über die sehr straffen Kreuz-Darmbein-Gelenke (Iliosakralgelenke) mit der Wirbelsäule verbunden. Dieser Bereich wird auch "hinterer Beckenring" genannt. Im vorderen Beckenring (also vorne) stoßen die beiden Hüftbeine in der sogenannten Symphysenfuge aneinander.

Die Hüftbeine bestehen jeweils aus drei Anteilen, dem Darmbein, dem Sitzbein und dem Schambein. Diese drei Teile verschmelzen bis zur Pubertät zum eigentlichen Hüftbein. Dort, wo sich die drei Knochen treffen, liegt die Hüftgelenkspfanne und bildet gemeinsam mit dem Kopf des Oberschenkelknochens das Hüftgelenk.

Der Beckenring ist sehr stabil, er sorgt für einen sicheren Stand und ermöglicht dem Menschen die aufrechte Haltung und das Gehen. Außerdem schützt er die Organe, die im Becken liegen, wie z. B. Harnblase und Enddarm sowie die Prostata beim Mann und die Eierstöcke und die Gebärmutter bei der Frau.

Einteilung der Beckenringbrüche. Je nach Verletzungsgrad und Stabilität des Beckens werden drei Formen unterschieden:

  • Typ A: intakter Beckenring, stabiles Becken. Beispiele sind Beckenrandverletzungen oder der Abriss eines Knochenanteils.
  • Typ B: partielle Unterbrechung des Beckenrings. Bei der Sprengung der vorderen Verbindung der beiden Hüftbeine (Open-Book-Verletzung) ist das Becken noch stabil. Bei einseitigen Brüchen ist das Becken vertikal stabil, in der waagrechten Ebene instabil.
  • Typ C: komplette Unterbrechung des Beckenrings. Diese Verletzungen sind komplett instabil und die Kraftüberleitung zum Oberschenkel ist unterbrochen.

Ist eine verminderte Knochendichte verantwortlich für die Fraktur, wird sie nach der Fragility Fractures of the Pelvis (FFP)-Klassifikation beurteilt. Als (meist) stabil und deshalb konservativ behandelbar gelten die isolierte vordere Beckenringfraktur (FFP-I) und die nicht verschobene Fraktur des hinteren Beckenrings (FFP-II). FFP-III- und FFP-IV-Brüche sind verschobene Brüche und deshalb meist instabil. In diesem Fall sollte operiert werden.

Ursachen und Risikofaktoren

Damit ein gesundes Kreuz- oder Hüftbein bricht, muss es einer erheblichen Gewalteinwirkung ausgesetzt sein. Typische Ursachen sind deshalb Stürze aus großer Höhe oder Verkehrsunfälle. Davon betroffen sind vor allem junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, häufig kommt es dabei zu instabilen Brüchen (siehe unten).

Bei alten Menschen mit verminderter Knochendichte reicht für einen Bruch des Beckenringes oft schon ein einfacher häuslicher Sturz aus dem Stand. Beckenringbrüche sind bei alten Menschen gefürchtet. Bis zu 27 % der Betroffenen versterben daran, häufig bleiben Mobilitätsstörungen und eine verminderte Selbstständigkeit zurück.

Klinik

Die Beschwerden beim Beckenringbruch hängen davon ab, ob das Becken noch stabil (Typ A) oder ob es instabil ist, d. h. sich die Bruchteile in der Quer- oder Längsachse verschieben können. Bei stabilen Beckenringbrüchen sind Schmerzen und Bewegungseinschränkungen oft nur gering. Instabile Beckenringbrüche zeigen sich meist mit starken Schmerzen im Bereich der Hüfte, der Leiste, an der Lende oder am Kreuzbein. Der Schmerz zieht manchmal auch als Lumboischialgie von der Lendenwirbelsäule bis in die Beine. Oft können die Betroffenen nicht mehr Gehen oder Stehen. Manchmal lässt sich aufgrund der verschobenen Knochen schon von außen erkennen, dass das Becken schief ist. Je nach Ort und Ausmaß der Verletzung kommt es auch zu Schwellungen und Blutergüssen, z. B. an den Schamlippen, am Hoden oder am Damm.

Komplikationen

Der Beckenringbruch ist bei Hochrasanzunfällen (z. B. Motorrad- oder Autounfällen, Sturz aus großer Höhe) oft Teil eines Polytraumas, bei dem die Patient*innen weitere Verletzungen aufweisen. Dazu gehört nicht nur die Verletzung von Gefäßen oder inneren Organen im Bereich des Beckens, z. B. von Harnblase oder Darm. Oft liegen gleichzeitig auch ein Schädel-Hirn-Trauma oder Brustkorb- und Lungenverletzungen vor. Innere Blutungen sind eine häufige, schwerwiegende Komplikation, bei schweren Blutverlusten droht der Schock.

Diagnosesicherung

Schwerverletzte kommen zunächst in den Schock- oder Reanimationsraum. Dort prüft man, ob eine unmittelbare Lebensgefahr (z. B. durch schwere Blutungen und Schock) besteht, transfundiert Blut oder beginnt mit der Versorgung lebensgefährlicher Begleitverletzungen. Die für den Transport angelegte stabilisierende Beckenzwinge (oder ein stattdessen angelegter Beckengurt) verbleibt während dieser Maßnahmen an der Patient*in, manchmal wird sie auch durch eine andere Haltevorrichtung ersetzt.

Körperliche Untersuchung. Bei der körperlichen Untersuchung achtet die Ärzt*in auf äußere Verletzungen und prüft die Stabilität des Beckens. Dazu wird vorsichtig auf die Beckenschaufeln und das Schambein gedrückt und versucht, die Knochen gegeneinander zu verschieben. Wichtige Hinweise sind zudem Druck- und Stauchungsschmerzen.

Durch eine orientierende neurologische Untersuchung lassen sich eventuelle Begleitverletzungen von Nerven erkennen. Dabei werden an Beinen und Hüften die Reflexe, die Berührungsempfindlichkeit und, wenn möglich, die willkürliche Bewegung und die Kraft geprüft. Das Tasten der Fußpulse zeigt, ob die Durchblutung der Beine in Ordnung ist. Ein nicht tastbarer Fußpuls ist beispielsweise ein Hinweis auf eine verletzte Beinarterie. Die Untersuchung des Enddarms mit dem Finger gibt Auskunft über Verletzungen im Becken: Blut am Fingerling ist ein Hinweis auf Verletzung des Enddarms. Lässt sich die Prostata verschieben, könnte die Harnröhre abgerissen sein.

Bildgebende Verfahren. Je nach Ausmaß der Verletzung kommen verschiedene Aufnahmen und Untersuchungen infrage, häufig werden diese auch kombiniert.

  • Röntgenaufnahme des Beckens, als Übersicht und in mehreren Ebenen
  • CT-Aufnahmen vor allem bei Verdacht auf Verletzungen des hinteren Beckenringes, bei Patient*innen mit Mehrfachverletzungen auch kontrastmittelgestützt
  • Notfall-Ultraschalluntersuchung (e-FAST, extended Focused Assessment with Sonography for Trauma) zum Auffinden von inneren Blutungen in Körperhöhlen (Bauchraum, Pleurahöhle oder Herzbeutel), kombiniert mit einer Untersuchung des Brustkorbs, um einen Pneumothorax nicht zu übersehen
  • Selten ein MRT, vor allem bei Kindern, um sie keiner Strahlenbelastung auszusetzen oder wenn der Bruch im CT nicht gut zu sehen ist
  • Messung der Knochendichte (bei alten Patienten mit "banalen" Stürzen)
  • Urografie, d. h. eine Röntgenkontrastuntersuchung der ableitenden Harnwege bei Verdacht auf Verletzung von Blase, Harnröhre oder Harnleiter.

Differenzialdiagnosen. Beckenprellungen können ähnlich schmerzhaft sein wie Beckenringbrüche. Auszuschließen ist vor allem bei älteren Patient*innen auch die Arthrose.

Behandlung

Konservativ

Die meisten Beckenringbrüche vom Typ A lassen sich konservativ behandeln. Das gilt nicht, wenn Knochenteile stark verschoben sind – diese Beckenringbrüche werden operativ versorgt. Ebenfalls konservativ behandelt werden stabile Typ-B-Brüche wie beispielsweise Open-Book-Verletzungen, bei denen die Symphyse nicht mehr als 1–2 cm auseinanderklafft.

Die konservative Behandlung beinhaltet:

  • Schmerztherapie, z. B. mit nicht-opioiden Schmerzmitteln wie Diclofenac (z. B. Voltaren® oder Diclac®) oder Metamizol (wie z. B. Novalgin®), bei stärkeren Schmerzen auch niedrig-potente Opioide wie Tramadol (z. B. Tramal®) oder hochpotente Opioide wie Oxycodon (z. B. Oxygesic®).
  • Physikalische und medikamentöse Thromboseprophylaxe mit komprimierenden Strümpfen und/oder Heparinspritzen
  • Lymphdrainage zur Behandlung eines Lymphödems
  • Sehr frühe Physiotherapie, zunächst mit passiven Übungen, später kommen Anspannungs- und aktive Übungen dazu
  • Möglichst frühe Mobilisierung mit Gehwagen oder Unterarmgehstützen
  • Vollbelastung ist nach etwa 12 Wochen wieder möglich.

Operativ

Typ-C-Brüche, stark verschobene Typ-A-Brüche und instabile Typ-B-Brüche behandelt die Unfallchirurg*in operativ. Um das Becken wieder zu stabilisieren, werden die Knochenbruchstücke mit Schrauben oder Platten fixiert, manchmal verwendet die Operateur*in dazu auch Zement. Bei sehr starker Verletzung von Weichteilen werden die Knochen auch durch einen Fixateur externe von außen fixiert.

Nach der Operation bekommt die Patient*in eine geeignete Schmerztherapie mit Opioiden oder Nicht-Opioiden sowie für mehrere Wochen eine Thromboseprophylaxe (siehe oben, konservative Therapie). Wie bei der konservativen Behandlung erfolgt auch hier eine frühe Mobilisierung: zunächst mit passiven Übungen, bei denen die Physiotherapeut*in die Gelenke der Patient*in bewegt, dann mit Anspannungsübungen. Wann das Training mit Gehwagen oder Unterarmgehstützen beginnt, hängt von der Art des Bruches ab und wird von der Operateur*in bestimmt. Bis zur 16. Woche nach Operation ist meist Rehasport angesagt, ab dem 5. Monat sind Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren und Schwimmen wieder erlaubt.

Prognose

Typ-A-Brüche heilen unter einer konservativen Behandlung meist folgenlos aus. Bei instabilen Beckenringbrüchen hängen die Heilungserfolge vom Ausmaß des Bruchs und von eventuellen Begleitverletzungen ab. Wurden Nerven geschädigt, bleiben manchmal langfristige Folgen wie Erektionsstörungen oder eine Harninkontinenz zurück.

Ihre Apotheke empfiehlt

Übungen nach dem Beckenringbruch

Ob und wie Sie nach Ihrem Beckenbruch trainieren können, müssen Sie mit der behandelnden Ärzt*in oder Physiotherapeut*in besprechen. Beispiele für mögliche Übungen sind:

  • Beckenboden kräftigen: Legen Sie sich auf den Rücken, Arme und Beine sind entspannt. Spannen Sie nun die Beckenbodenmuskulatur so an, als wollten Sie ihren Harn- und Stuhldrang unterdrücken. Halten Sie die Spannung für etwa 15 Sekunden. 3 Wiederholungen.
  • Becken dehnen. Legen Sie sich auf den Rücken und stellen Sie die Füße nahe am Gesäß auf. Heben Sie das Becken nach oben. Wirbelsäule und Oberschenkel sollen dabei eine möglichst gerade Linie bilden. Spüren Sie die Dehnung im Becken, halten Sie die Position einige Sekunden. 3 Wiederholungen.

Prävention

Stürze vermeiden. Ältere Menschen sind oft von Stürzen bedroht, sei es aufgrund einer Fehlsichtigkeit, einem verminderten Gleichgewichtsgefühl oder durch krankheitsbedingte Einschränkung ihrer Beweglichkeit. Deshalb ist es wichtig, ihre Sturzgefahr zu ermitteln und nötigenfalls ihre Stabilität zu verbessern. Dazu dienen Gehstöcke, Dreibeinstöcke und Rollatoren. Gymnastik, Gleichgewichtsübungen und Bewegungstraining helfen, den Körper und die Reaktionsfähigkeit fit zu halten.

Stolperfallen ausmerzen. Vor allem bei älteren Menschen sind Wohnung und nähere Umgebung gründlich auf mögliche Stolperfallen wie Teppiche oder herumliegende Kabel zu untersuchen diese zu entfernen.

Hüftprotektoren. Bei hoher Sturzgefahr können Hüftprotektoren helfen. Dies sind Hosen, in denen seitlich über dem Hüftknochen Schutzpolster eingenäht sind. Diese Polster können eventuelle Stürze abmildern.

Osteoporose behandeln. Um eine größtmögliche Knochenstabilität zu erhalten ist es wichtig, eine vorliegende Osteoporose zu behandeln.