Migräne

Migräne: anfallsartige, häufig pulsierende, meist einseitige Kopfschmerzen, die oft eingeleitet oder begleitet werden von vegetativen Symptomen, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie neurologischen Ausfällen wie z. B. einer Sehstörung.

Migräne ist eine häufige Erkrankung: Etwa 15 % der Frauen und 5 % der Männer im Erwachsenenalter darunter. Der Erkrankungsbeginn liegt meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter; selten sind auch Kinder betroffen. Nach dem 45. Lebensjahr bessert sich die Migräne oft von selbst – bei Frauen wirkt sich der Übergang in die Wechseljahre in der Regel positiv aus.

Die Hälfte der Betroffenen erleidet etwa einen Anfall im Monat, jeder zehnte hat aber 4 und mehr Anfälle im Monat.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Wiederholte Kopfschmerzanfälle, meist pulsierend und einseitig (ein Seitenwechsel ist möglich)
  • Dauer wenige Stunden bis zu 3 Tagen, der Beginn ist typischerweise morgens
  • Zunahme bei körperlicher Aktivität
  • Alltagsaktivitäten sind während des Migräneanfalls erheblich beeinträchtigt oder unmöglich
  • Initial oder begleitend Lärm- oder Lichtscheu, Übelkeit, häufig Erbrechen, Sehstörungen und andere Missempfindungen.

Wann zum Arzt

In den nächsten 2 Wochen, wenn

  • erstmalig ein Kopfschmerz auftritt, der zu einer Migräne "passt".
  • sich der Charakter einer bekannten Migräne ändert oder eine bislang erfolgreiche Selbstbehandlung nicht mehr wirkt.

In den nächsten Tagen, wenn

  • die Kopfschmerzattacken immer morgens beginnen.
  • zwischen den "Anfällen" keine Beschwerdefreiheit besteht.
  • die Kopfschmerzen sehr stark sind und auf "nichts" ansprechen.

Sofort den Arzt rufen, wenn

  • der Betroffene Krämpfe hat, bewusstlos wird oder Lähmungserscheinungen zeigt.

Die Erkrankung

Überblick. Die Migräne ist nicht, wie früher angenommen, psychisch bedingt und schon gar nicht wird ein Migräneanfall vorgetäuscht ("sie hat wieder mal ihre Migräne"), psychische Faktoren beeinflussen aber den Krankheitsverlauf. Vermutlich ist die Migräne erblich mitbedingt, bei einer seltenen Sonderform sind Gendefekte als direkte Ursache identifiziert. Besteht eine Neigung zur Migräne, lösen verschiedenste Einflüsse, etwa bestimmte Nahrungs- und Genussmittel wie Rotwein, Schokolade oder Käse, Änderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Hitze, Lärm, Flackerlicht, Stress (oder Entspannung nach vorheriger Anspannung), Aufenthalt in großer Höhe, aber auch "heraufziehende" Infektionen oder bei Frauen die "Pille" sowie die Regelblutung Migräneanfälle aus.

Formen. Beginnt der Anfall sofort mit Kopfschmerzen, spricht man von einer Migräne ohne Aura. Diese ist die häufigste. Bei ungefähr 10–15 % der Betroffenen leiten aber neurologische Ausfälle (häufig Sehstörungen wie z. B. Lichtblitze und Gesichtsfelddefekte) eine Migräneattacke ein. Diese Form heißt Migräne mit Aura (oder auch klassische Migräne).

Ursachen. Wie es genau zu einem Migräneanfall kommt, ist nach wie vor nicht ganz klar. Nach heutigem Kenntnisstand steht eine Funktionsstörung der Nervenzellen und nicht der Blutgefäße am Anfang des Geschehens. Mittels SPECT und PET konnte eine erhöhte Durchblutung in Teilen des Hirnstamms nachgewiesen werden. Wahrscheinlich führt dies zu einer veränderten Botenstoffausschüttung, wobei dem Botenstoff Serotonin eine entscheidende Rolle zukommt. Dieser soll dann auf die Fasern des Trigeminusnervs ("zuständig" für die Empfindungen von Hirnhäuten und Gesicht) und die körpereigenen schmerzregulierenden Systeme zurückwirken sowie die Hirnhautgefäße erweitern und dadurch zum migränetypischen Kopfschmerz führen.

Für die Aura verantwortlich ist wahrscheinlich eine verminderte Nervenzellaktivität, die über Teile der Großhirnoberfläche wandert und phasenweise die Durchblutung vermindert.

Ein Migräneanfall verläuft typischerweise in 4 Phasen:

  • Prodromi (Vorboten) mit depressiver Verstimmung, Reizbarkeit, Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel
  • Aura mit reversiblen neurologischen Symptomen wie Sehstörungen, Empfindungs- oder Sprachstörungen
  • Kopfschmerzattacke mit Begleiterscheinungen
  • Anfallsende: Abklingen der Schmerzen mit Erschöpfung und verstärktem Schlafbedürfnis.

Die Veranlagung zur Migräne ist nicht zu ändern, mit einer Kombination der unten genannten Behandlungsmöglichkeiten gelingt es den meisten Betroffenen aber, sie in einem erträglichen Rahmen zu halten.

Sonderformen. Migräneanfälle, die mit der Menstruationsblutung assoziiert sind, werden als menstruelle Migräne bezeichnet; Migräneanfälle mit lange nachwirkenden neurologischen Symptomen wie z. B. Lähmungserscheinungen als Migraine accompagnée.

Komplikationen. Migräneanfälle, die innerhalb von 72 Stunden nicht aufhören, bezeichnet man als Status migraenosus. Sie erfordern besondere Therapiemaßnahmen und oft eine Einweisung ins Krankenhaus.

Diagnosesicherung

Sind die Beschwerden typisch und kann der Arzt keine weiteren Auffälligkeiten feststellen, "steht" die Diagnose.

Passt aber das Bild nicht ganz, treten z. B. erstmals Ausfälle auf, beginnt die Erkrankung erst nach dem 40. Geburtstag oder ändert sich eine bekannte Migräne, muss der Arzt andere Grunderkrankungen ausschließen, wofür dann meist ein CT und/oder ein Kernspin vom Hirnschädel erforderlich sind.

Behandlung

Die Therapie der Migräne ist schwierig – es gibt keine Wundermittel, und kein Medikament beseitigt alle Symptome. Moderne Ansätze umfassen neben der medikamentösen Behandlung psychotherapeutische und physiotherapeutische Heilverfahren sowie Änderungen im Lebensstil sowie Selbsthilfemaßnahmen.

Pharmakotherapie im Migräneanfall

Viele Migräneanfälle sind so schwer, dass Selbsthilfemaßnahmen (siehe unten) nicht ausreichen. Je nach Bedarf und schrittweise sollen Erwachsene nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften einnehmen:

  • Gegen Übelkeit und Erbrechen ein Antiemetikum wie z. B. Metoclopramid 10–20 mg als Tablette.
  • Eine Viertelstunde später gegen die Schmerzen:

Als Mittel der ersten Wahl 900–1000 mg Acetylsalicylsäure, 1000 mg Paracetamol oder 400 mg Ibuprofen, am besten als Brause- oder Kautablette. Es gibt auch Kombinationspräparate – etwa mit 250–265 mg Acetylsalicylsäure, 200–265 mg Paracetamol und 50–65 mg Koffein – für viele sind sie wirksamer als die Einzelsubstanzen. Die einzelne Einnahmedosis liegt bei 2 Tabletten. Für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sind Paracetamol oder Ibuprofen am besten, für Schwangere Paracetamol. Paracetamol lässt sich auch als Zäpfchen verabreichen.

Metamizol (bis 1000 mg als Tablette) gilt als Mittel der zweiten Wahl.

Stärker wirken Triptane, etwa Sumatriptan, Zolmitriptan oder Naratriptan. Sie greifen in das Botenstoffgefüge (genauer den Serotoninhaushalt) im Gehirn ein. Triptane gibt es als Schmelztabletten, Suppositorien, Nasensprays und zur subkutanen Injektion. Triptane dürfen erst im Migräneanfall eingenommen werden – und nicht schon während der Aura, da Triptane sonst selbst zum (arzneimittelinduzierten) Kopfschmerz und sogar zu häufigeren Migräneanfällen führen. Eine Nachdosierung nach mindestens 6 Stunden ist zulässig.

Reicht ein Triptan nicht aus, empfiehlt der Arzt das Triptan mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum (NSAR wie z. B. Acetylsalicylsäure, Naproxen oder Ibuprofen) zu kombinieren.

Weitere Medikamente: Die früher häufig verordneten Mutterkornalkaloide oder Ergotamine wurden durch die Triptane inzwischen verdrängt. Manche Betroffene kommen aber mit diesen Medikamenten gut zurecht und können sie dann weiter nehmen.

Medikamentöse Anfallsprophylaxe

Bei häufigen Migräneanfällen ist wegen des Nebenwirkungsrisikos der Anfallsmedikamente eine Dauergabe vorbeugender Medikamente sinnvoll.

  • Vorzugsweise eingesetzt werden die aus der Bluthochdruckbehandlung bekannten Betablocker Metoprolol und Propranolol, der Kalziumantagonist Flunarizin und die Antiepileptika Topiramat und Valproinsäure. Ihre Wirksamkeit kann erst nach 2 Monaten wirklich beurteilt werden: die Anzahl an Migränetagen sollte sich um 30–50 % verringert haben. Um dies zu ermitteln, ist das Führen eines Kopfschmerztagebuches angezeigt. Bei Wirksamkeit der Therapie sollte nach 6–12 Monaten ein Auslass- oder Dosisreduktions-Versuch unternommen werden. Bei erneuter Verschlechterung der Migräne wird dann ein erneuter Behandlungszyklus eingeleitet.
  • Sind diese Standardmedikamente nicht ausreichend, werden als weitere Medikamente das Antidepressivum Amitryptillin, das Analgetikum Naproxen, Botulinumtoxin, das Phytopharmakon Pestwurz und viele weitere Medikamente eingesetzt (zum Teil "off label", d. h. ohne dass diese für die Migräneprophylaxe zugelassen sind).
  • Für Kinder, Schwangere sowie Patientinnen mit menstrueller Migräne bestehen besondere Empfehlungen.

Nichtmedikamentöse Anfallsprophylaxe

Die Akupunktur hat heute einen festen Platz in der nichtmedikamentösen Anfallsprophylaxe, die Wirksamkeit ist in zahlreichen Studien belegt (sie wirkt in einigen Fällen sogar beim beginnenden Migräneanfall und kann evtl. eine ausgeprägte Attacke verhindern).

Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und Biofeedback-gestützte Verhaltenstherapien sind vergleichbar wirksame Methoden, um Migräneanfällen vorzubeugen. Bei den Biofeedback-gestützten Verhaltenstherapien lernt der Patient, durch Konzentration den Schmerz willentlich zu beeinflussen. Ein Sensor über der Schläfenarterie misst deren Durchblutung, die auf einem Bildschirm dargestellt wird. Der Patient lernt aus dieser Rückmeldung, den Durchmesser der Arterie willentlich zu vergrößern und damit die Durchblutung zu steuern.

Weitere übende Verfahren wie Stressmanagement-Kurse oder Verhaltenstherapien sind im Einzelfall ebenfalls hilfreich. Beim Autogenen Training, das Studien ebenfalls als wirksam bewerten, ist die Stirnkühlübung der entscheidende Bestandteil des Übungsprogramms und zielt auf eine umfassende Entspannung. Das Autogene Training sollte in entsprechenden Kursen z. B. in Volkshochschulen erlernt und für längere Zeit – idealerweise Jahre – regelmäßig praktiziert werden. Die Durchführung der Übung ist, wenn man die Grundübungen in einem Kurs erlernt hat, auch alleine möglich.

Regelmäßiger Ausdauersport vermag die Zahl der Migräneanfälle zu reduzieren. Dreimal die Woche für 30–40 Minuten joggen bewirkt, dass das Gehirn dreimal die Woche Endorphine freisetzt. Dadurch steigt die individuelle Schmerzschwelle an, und Migräneanfälle treten seltener und schwächer auf. Auch der Bedarf an Medikamenten sinkt, wie mehrere Studien festgestellt haben.

Hinweis: Allerdings ist intensive sportliche Betätigung für manche Patienten ein Migräneanfallsauslöser. Diesen Betroffenen wird dann maßvoller(er) Ausdauersport wie rasches Gehen oder dosiertes Training auf dem Heim­Trainer oder Fahrradergometer empfohlen.

Ihr Apotheker empfiehlt

Prävention

Auslöser meiden. Bekannte Anfallsauslöser sollten Sie meiden, allerdings ist es oft nicht leicht herauszufinden, was einen Anfall provoziert und was das beste Rezept dagegen ist. Dann ist für eine begrenzte Zeit das Führen eines Kopfschmerztagebuchs sinnvoll.

Lange Zeit galten Schokolade und Süßigkeiten als Migräne-Auslöser, da Betroffene häufig von Heißhungerattacken vor dem Anfall berichteten. Eine aktuelle Studie zeigt aber, dass Schokolade den Anfall nicht verursacht, sondern die verstärkte Lust auf Süßes ihn vielmehr ankündigt. Der Grund dahinter: Das Gehirn braucht Energie für den bevorstehenden Migräneanfall. Das bedeutet: Um einem Anfall vorzubeugen, nützt es nichts auf Schokolade zu verzichten. Im Gegenteil, laut der Studie verstärkt dieser Verzicht die Symptome sogar.

Komplementärmedizin

Physikalische Anwendungen. Während des Anfalls helfen am besten Ruhe in einem dunklen, leisen Raum und Kälteanwendungen, z. B. durch kalte Kompressen sowie Kühlpacks im Nacken aufgelegt oder in Form einer Migränebrille.

Manche Patienten profitieren von einer heißen Dusche oder einem Vollbad von 10–20 Minuten Dauer. Badezusätze aus Fichtennadeln und Rosmarin fördern die Durchblutung, Baldrian und Hopfen beruhigen, Arnika und Heublume lindern Schmerzen.

Akupunktur. In einer großen Akupunkturstudie (GERAC, 2005) zeigte sich die Akupunktur der schulmedizinischen Standardbehandlung als ebenbürtig.

Phytotherapie. Als klassisches Mittel bei Migräne gilt der Pestwurzwurzelstock (Petasites hybridus). Er wird zur Prophylaxe und Linderung von Migräneanfällen empfohlen, mehrere neurologische Fachgesellschaften in Europa halten die Heilpflanze für wirksam und die Anwendung für nutzbringend. Es wirkt aber nicht bei jedem Patienten und es gibt ein (sehr geringes) Risiko für Leberschäden, weshalb die Anwendung nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen soll.

Im Einzelfall zu erwägen sind auch die Naturheilmittel gegen chronischen Kopfschmerz wie z. B. Extrakte aus Weidenrinde.

Homöopathie. Empfohlen werden etwa Belladonna, Cimicifuga, Gelsemium und Sanguinaria als Akut- (D6 oder D12) oder Kombinationstherapie (ab C30) – eindeutige Nachweise zur Wirksamkeit fehlen jedoch trotz vieler Studien. Als Komplexmittel wird z. B. Cyclamen Oligoplax vorgeschlagen.

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