Oberarmkopfbruch
Oberarmkopfbruch (Humeruskopffraktur, proximale Oberarmfraktur): Knochenbruch im Bereich des Oberarmkopfs, meist infolge eines Sturzes. Ein Oberarmkopfbruch betrifft besonders häufig ältere Menschen, deren Knochen durch Osteoporose vorgeschädigt sind. Typische Beschwerden sind Schmerzen beim Bewegen des Arms, außerdem kann der Arm nicht angehoben werden.
Unverschobene Brüche behandelt der Arzt konservativ mit kurzfristiger Ruhigstellung, verschobene werden operiert. Vor allem einfache Verletzungen heilen in der Regel problemlos; verbliebene Fehlstellungen im Bereich der Gelenkfläche führen jedoch manchmal zur Arthrose des Schultergelenks.
Symptome und Leitbeschwerden
Nach Sturz oder Unfall:
- Schwellung, starker Druckschmerz, oft auch Blaufärbung der Haut durch Bluterguss im Bereich des oberen Oberarmdrittels
- Stark schmerzhafte Bewegungseinschränkung von Schulter und Oberarm
- Der verletzte Arm wird meist instinktiv mit dem gesunden Arm am Brustkorb (fest-)gehalten.
Wann zum Arzt
Gleich nach dem Sturz oder Unfall, wenn
- oben beschriebene Beschwerden auftreten.
Erste Hilfe
Die schmerzende Stelle sofort mit Umschlägen, Eisbeuteln oder Kühlpacks zu kühlen, bringt oft Schmerzerleichterung. Beim Transport zum Arzt ist es empfehlenswert, den verletzten Arm in angewinkelter Stellung vorsichtig mit einem Tuch oder Kleidungsstück am Körper zu fixieren.
Die Erkrankung
Ein Oberarmkopfbruch ereignet sich in den meisten Fällen bei einem Sturz auf die Schulter oder den ausgestreckten Arm. Ältere Frauen sind häufig betroffen, da sie oft unter einer Osteoporose leiden und ihre Knochen deshalb brüchiger sind. Bei jüngeren Menschen mit gesunder Knochenstruktur kommt es nur bei größerer Krafteinwirkung zu einem Oberarmkopfbruch, etwa beim Sturz aus großer Höhe oder bei Reit- und Motorradunfällen.
Formen und Klassifikation
Am Oberarmkopf lassen sich verschiedene Zonen unterscheiden, dazu gehören
- das Collum anatomicum, der "echte Hals". Er liegt direkt unter der Gelenkfläche und dient der Gelenkkapsel als Ansatz
- das Collum chirurgicum, der "chirurgische Hals". Damit ist der verschmälerte Übergang vom Oberarmkopf zum Schaft bezeichnet, der besonders leicht bricht. Ein Bruch an dieser Stelle wird auch subkapitale Humerusfraktur genannt
- Tuberculum majus und minus, also kleiner und großer Knochenvorsprung. Diese beiden Knochenvorsprünge sind wichtige Ansatzstellen von Sehnen der Schulter- und Armmuskeln.
Bei einem Oberarmkopfbruch können diese Teile einzeln oder in Kombination (ab)brechen (2-Fragment-Fraktur, 3-Fragmentfraktur), sind es noch mehr Bruchteile, spricht man von einem Trümmerbruch. Außerdem ist wichtig, ob die betroffenen Bruchteile verschoben sind (dislozierter Bruch) und ob der Gelenkkopf aus dem Schultergelenk ausgekugelt ist (Luxationsbruch oder -fraktur).
All diese verschiedenen Brüche werden in diversen Klassifikationen beschrieben. Am häufigsten verwenden die Ärzte die Klassifikation nach Neer (Neer 1: nicht oder minimal dislozierte = verschobene Fraktur) und Neer 2–6: dislozierte Frakturen (verschobene Brüche mit unterschiedlich vielen Fragmenten). Gebräuchlich ist aber auch die AO-Klassifikation der proximalen Humerusfrakturen (Regio 11). Beide Klassifikationen dienen vor allem der Beschreibung, lassen jedoch keine Aussagen über den Heilungsverlauf zu.
Komplikationen
Eine unbehandelte, starke Fehlstellung nach Bruch des Oberarmkopfes führt oft zu bleibenden Bewegungseinschränkungen und einem schnellen Verschleiß des Schultergelenks (posttraumatische Arthrose), weil Kopf und Pfanne nicht mehr zusammenpassen. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Oberarmkopf infolge einer gestörten Blutversorgung (zumindest teilweise) abstirbt (Humeruskopfnekrose). Auch hier sind als langfristige Folge Bewegungseinschränkungen und Arthrose zu erwarten.
Diagnosesicherung
Die bewegungsabhängigen Schmerzen und die Unfähigkeit, den Arm anzuheben weisen den Arzt deutlich auf ein Geschehen an Schulter oder Oberarm hin. Gesichert wird die Diagnose mit Röntgenbildern. Dabei lässt sich nicht nur der genaue Verlauf des Bruchs erkennen, sondern auch, ob der Bruch verschoben und/oder die Gelenkfläche des Oberarmkopfs betroffen ist.
Um eine Nerven- oder Gefäßverletzung nicht zu übersehen, prüft der Arzt den sogenannten DMS-Status, d. h. die Durchblutung, die Motorik und die Sensibilität des betroffenen Arms. Bei einem Oberarmkopfbruch nimmt besonders oft der in der Nähe verlaufende N. axillaris Schaden, weshalb der Arzt insbesondere die Hautempfindlichkeit über der äußeren Schulter prüft. Motorisch zeigt sich eine Schädigung des N. axillaris dadurch, dass der Arm nicht nach außen gedreht und vom Körper abgespreizt werden kann, wobei in der Akutphase der Verletzung auf diese Untersuchung verzichtet wird. Ob der verschobene Oberarmschaft die Armarterie abdrückt, erkennt der Arzt beim Tasten der Pulse der beiden Armarterien A. radialis und A. ulnaris am Handgelenk.
Weitere bildgebende Untersuchung wie z. B. eine CT-Aufnahme sind erforderlich, wenn der Oberarmkopfbruch operativ versorgt werden muss (siehe "Behandlung"). Außerdem veranlasst der Arzt bei Verdacht auf Nervenverletzungen ein EMG (Elektromyografie) und/oder ein ENG (Elektroneurografie), bei Verdacht auf eine Gefäßschädigung die Doppler-Sonografie oder eine Angiografie (das ist die Röntgenuntersuchung bestimmter Gefäße mithilfe von injiziertem Röntgenkontrastmittel) und bei Verdacht auf Weichteilverletzungen wie z. B. den Riss der Rotatorenmanschette eine Ultraschalluntersuchung des Schultergelenks.
Differenzialdiagnose. Bewegungseinschränkungen und Schmerzen im Bereich von Schulter und Oberarm sind Anzeichen verschiedener Verletzungen, z. B. Schultereckgelenkverrenkung, Schlüsselbeinbruch, Oberarmbruch, Schultergelenkarthrose oder Verletzungen der Rotatorenmanschette.
Behandlung
Konservative Behandlung
Unverschobene Brüche lassen sich meist konservativ behandeln: An eine maximal einwöchige Ruhigstellung im Schulter-Arm-Verband (z. B. Gilchrist-Verband) schließt sich eine krankengymnastische Übungsbehandlung an, um eine Versteifung des Schultergelenks zu vermeiden. Dabei werden zunächst nur Ellenbogen und Hand bewegt, ab etwa der zweiten Woche kommen Pendelübungen des Arms dazu. Ab der 3. Woche geht es los mit passiven und aktiven, belastungsfreien Bewegungen der Schulter, ab der 8. Woche trainiert der Patient aktiv mit steigender Belastung und ab Woche 11 beginnt der Reha-Sport.
In der Frühphase der Heilung droht durch die Bewegung eine Verschiebung der Bruchteile. Um dies nicht zu übersehen, werden Schulter und Oberarm regelmäßig geröntgt, z. B. am 4., 7. und 11. Tag nach Verletzung sowie 6 Wochen später.
Operative Behandlung
Die operative Therapie ist z. B. erforderlich bei
- Gefäß- und Nervenverletzungen
- Luxationsfrakturen (ausgekugelter Gelenkkopf)
- offenen Brüchen, Brüchen mit schwerem Weichteilschaden
- stark verschobenen Brüchen.
Bei der operativen Behandlung lässt sich prinzipiell zwischen einer gelenkerhaltenden Operation (Osteosynthese) und dem Ersatz des Gelenks durch eine Endoprothese unterscheiden. Welches Verfahren zum Einsatz kommt, hängt von der Art der Verletzung, aber auch vom Patienten selbst ab, z. B. von seinem Alter, seinem Gesundheitszustand und der Qualität seiner Knochen (Vorliegen einer Osteoporose).
Osteosynthese. Die knochenerhaltende Operation erfolgt im Rahmen einer Gelenkspiegelung oder offen über einen Hautschnitt. Dabei richtet der Arzt den Bruch ein und stabilisiert ihn mithilfe von Drähten, Schrauben, Platten oder speziellen Nägeln. Anschließend ist es in der Regel rasch wieder erlaubt, den operierten Arm zu bewegen. Eine Materialentfernung empfiehlt sich frühestens nach sechs Monaten. Sie entfällt manchmal ganz, wenn die Implantate nicht stören.
Endoprothese. Gelegentlich lässt sich die Gelenkfläche des Oberarmkopfs nicht wiederherstellen, insbesondere dann, wenn ein Trümmerbruch besteht oder die Gelenkfläche so flach abgesprengt ist, dass darin keine Drähte oder Schrauben Halt finden. In diesem Fall, wie auch beim Auftreten einer Humeruskopfnekrose (Absterben des Oberarmkopfs, ähnlich der Hüftkopfnekrose) bleibt oft nur die Möglichkeit, den Oberarmkopf ganz zu entfernen und durch eine Prothese zu ersetzen:
- Hemiprothese mit alleinigem Ersatz des Oberarmkopfes
- Kompletter Gelenkersatz, meist als inverse Prothese. Hierbei befindet sich der Prothesenkopf am Schulterblatt und die Gelenkpfanne im Oberarmkopf. Diese Form der Prothese findet vor allem bei zusätzlich geschädigter Rotatorenmanschette Verwendung.
Komplikationen der operativen Behandlung
Während und nach der operativen Versorgung des Oberarmkopfbruchs sind z. B. folgende Komplikationen möglich:
- Schädigung von Nerven während der Operation (hier vor allem des N. axillaris)
- Wundheilungsstörungen und Infektionen
- Reduzierte Knochenheilung, Ausbildung eines sog. Falschgelenks (Pseudarthrose)
- Implantatversagen wie Bruch einer Schraube oder einer Platte
- Entwicklung einer Humeruskopfnekrose
- Funktionseinschränkung wie z. B. Versteifung der Schulter (Schultersteife).
Prognose
Die Prognose nach einem Oberarmkopfbruch ist individuell sehr verschieden und hängt von der Art des Bruches, der Behandlung und dem Zustand des Patienten ab. Einfache Verletzungen heilen meist problemlos. Je mehr Fragmente der Bruch hat, desto größer ist jedoch das Risiko, dass die Funktion der Schulter nicht mehr komplett hergestellt werden kann. So können etwa 10 bis 20 % der Patienten nach einem Oberarmkopfbruch ihren Oberarm nicht mehr bis zur Senkrechten hochheben.
Ihr Apotheker empfiehlt
Sport
Zunächst gilt es, mithilfe der Krankengymnastik Schulter und Arm in Bewegung zu halten und vorsichtig die Muskulatur zu stärken. Ab der 11. Woche nach der Verletzung darf es bei konservativer Behandlung mit dem Rehasport losgehen. "Normaler" Sport ist ab dem 4. Monat erlaubt, erst zyklische Sportarten (das ist Sport mit wiederholten Bewegungen wie Laufen, Walken, Radfahren oder Rudern). Azyklische Bewegungen, bei denen das Bewegungsziel durch eine einmalige Aktion wie Springen oder Werfen erreicht wird, dürfen frühestens ab dem 6. Monat nach Verletzung wieder aufgenommen werden. Fragen Sie Ihren Arzt, welcher Sport für Sie am besten geeignet ist und wann Sie ihn aufnehmen dürfen.
Prävention
Sturzprophylaxe. Sei es aufgrund von Schwindel, Sehschwäche, Bewegungseinschränkung durch Arthrose oder generellem Abbau der Leistungsfähigkeit – alte Menschen stürzen leichter, die Folge sind häufig Knochenbrüche. Um dies zu verhindern, gibt es gute Konzepte zur Sturzprophylaxe. Sie reichen von Geh-Hilfen über Hüftprotektoren bis hin zum Auffinden und Wegräumen von Stolperfallen in der Wohnung. Lassen Sie sich vom Hausarzt oder Pflegepersonal dazu beraten, detaillierte Informationen finden Sie im Artikel Stürze und Sturzprophylaxe.
Knochen stärken. Menschen mit einer Osteoporose sind besonders gefährdet, bei Stürzen Knochenbrüche zu erleiden. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob es sinnvoll ist, Ihre Knochendichte messen zu lassen. Liegt eine Osteoporose vor, sollte diese behandelt werden. Dazu gibt es verschiedene Medikamente, aber auch spezielles Training (Vibrationstraining, Wassergymnastik) und eine kalzium- und vitaminreiche Ernährung sind hilfreich. Detaillierte Tipps zum Stärken Ihrer Knochen finden Sie im Artikel Osteoporose.
Weiterführende Informationen
- www.schulterchirurgie.de – Internetseite der ATOS Praxisklinik, Heidelberg: Unter der Rubrik Schwerpunkte finden Sie einen guten Überblick zu den Therapiemöglichen der verschiedenen Schultererkrankungen.