Reaktive Arthritis

Reaktive Arthritis (postinfektiöse Arthritis): Entzündliche Gelenkerkrankung, die eine bis wenige Wochen nach einer Infektion von Harnwegen, Geschlechtsorganen, Darm oder Atemwegen auftritt. Betroffen sind meist einzelne große Gelenke von Becken und Bein auf nur einer Körperseite. Zusätzlich liegt manchmal eine begleitende Entzündung der Augenbindehaut oder der Harnröhre vor, manchmal kommt es auch zu Fieber (Urethro-okulo-synoviales Syndrom). Behandelt wird mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR), evtl. auch mit Kortison. Meist heilt die Erkrankung innerhalb eines Jahres aus und verursacht keine dauerhaften Gelenkschäden.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Einseitig schmerzhafte, geschwollene große Gelenke
  • Geschwollene einzelne Finger oder Zehen (Wurstzehe, Wurstfinger)
  • Schmerzen der Sehnen oder Sehnenscheiden (z. B. Achillessehne)
  • Schmerzen beim Wasserlassen
  • Schleimhautveränderungen an der Eichel
  • Schmerzen und Fremdkörpergefühl in den Augen, erhöhte Lichtempfindlichkeit.

Wann zur Arztpraxis

In den nächsten Tagen, wenn

  • oben genannte Beschwerden auftreten.

Die Erkrankung

Die reaktive Arthritis ist eine Erkrankung des jungen bis mittleren Erwachsenenalters. In Deutschland leiden etwa 50 von 100.000 Einwohner*innen daran. Bei der Sonderform, dem Urethro-okulo-synovialen Syndrom (siehe unten), sind vor allem 20- bis 40-jährige Männer betroffen.

Krankheitsentstehung

Ursache der reaktiven Arthritis ist eine Infektion, die außerhalb von den Gelenken stattgefunden hat, zum Beispiel in Darm, Geschlechtsorganen, Harn- oder Atemwegen. Die Erreger oder Erregerbestandteile gelangen dann im Anschluss über das Blut in die Gelenke. Im Fall einer Darmentzündung sind dies z. B. Shigellen, Yersinien, Salmonellen oder Campylobacter jejuni. Bei Geschlechtskrankheiten oder Harnwegsinfektionen handelt es sich vorwiegend um Chlamydien, Mykoplasmen oder Gonokokken.

Im Gelenk lösen die Erreger bzw. ihre Bestandteile eine überschießende Immunreaktion aus, sodass sich das Gelenk entzündet. Das Besondere bei dieser Entzündung ist, dass sich die Erreger im Gelenk nicht vermehren und man sie aus der Gelenkflüssigkeit nicht anzüchten kann.

Die überschießende Immunreaktion ist genetisch bedingt, wobei u. a. das auf Immunzellen sitzende Oberflächenprotein HLA-B27 eine Rolle spielt. Es ist bei etwa der Hälfte aller Patient*innen mit reaktiver Arthritis nachweisbar und gilt als Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf.

Klinik

Die reaktive Arthritis tritt meist zwei bis vier Wochen nach der auslösenden Infektion auf. Oft kommen die Gelenkschmerzen wie aus dem "Nichts", weil der vorangegangene Infekt so leicht war, dass er gar nicht richtig bemerkt wurde. Die Gelenkschmerzen variieren individuell. In schweren Fällen schmerzen die Gelenke stark und sind überwärmt und geschwollen.

Betroffen sind meist große, Gewicht tragende Gelenke wie das Kniegelenk, Hüftgelenk oder Sprunggelenk. Der Befall von Finger- und Fußgelenken oder der Wirbelsäule ist die Ausnahme. Selten sind mehrere Gelenke beteiligt, manchmal springt die Entzündung auch von einem Gelenk auf ein anderes.

Oft schmerzen die Sehnen und die Sehnenansatzstellen. Besonders häufig ist die Ansatzstelle der Achillessehne entzündet, dann schmerzen Gehen und Stehen. Im Gegensatz zur Arthritis kann die Sehnenentzündung auch Finger und Zehen treffen und diese zum Anschwellen bringen. Dann spricht die Ärzt*in von einer Daktylitis (Wurstfinger oder Wurstzehe).

Entzündungen außerhalb von Gelenken und Sehnen

Im Verlauf der reaktiven Arthritis kommt es bei einigen Patient*innen auch zu Entzündungen außerhalb des Bewegungsapparates:

Auge. Hier sind Bindehautentzündung (Konjunktivitis) und Hornhautentzündung (Keratitis) typisch, aber auch die Regenbogenhaut kann sich entzünden (Iritis). Bemerkbar macht sich eine Augenbeteiligung mit Lichtscheu, Augenjucken, geröteten Augen und Sehstörungen.

Haut. An Hand- und Fußsohlen kommt es zu verstärkter Verhornung, die an eine Schuppenflechte erinnert. Manchmal entwickelt sich auch ein Erythema nodosum mit schmerzenden rot-bläulichen Knötchen an Sprunggelenken und Unterschenkeln. Bei Männern ist die Eichel oft von schuppenden Hautveränderungen betroffen.

Harnwege und Geschlechtsorgane. Typisch sind zudem begleitende Entzündungen von Harnwegen (Urethritis), Gebärmutterhals (Zervizitis) und Prostata (Prostatitis). Sie äußern sich mit Ausfluss sowie Schmerzen beim Wasserlassen oder beim Geschlechtsverkehr.

Urethro-okulo-synoviales Syndrom. Eine Sonderform oder auch das "Vollbild" der reaktiven Arthritis ist die Kombination aus Harnröhrenentzündung (Urethritis), Bindehautentzündung und Gelenkentzündung (Synovitis = Entzündung der Gelenkinnenschicht). Das Vollbild manifestiert sich bei etwa einem Drittel der Betroffenen, vor allem bei jungen Männern.

Verlauf

Im Durchschnitt dauert die Erkrankung sechs Monate. Manche Patient*innen entwickeln allerdings auch eine chronische Arthritis oder leiden auch später noch unter wiederkehrenden Sehnenproblemen. Am größten ist das Risiko bei denjenigen, die an dem Vollbild der Erkrankung leiden und Träger von HLA-B27 sind.

Diagnosesicherung

Beim Verdacht auf eine reaktive Arthritis fragt die Ärzt*in zunächst nach vorangegangenen Infekten. Mithilfe von Urin- und Stuhlproben oder Abstrichen aus Harnröhre und Gebärmutterhals versucht man, den Erreger zu identifizieren. Oft liegt der Infekt jedoch schon so lange zurück, dass sich der Auslöser selbst nicht mehr nachweisen lässt. Dann können jedoch die vom Körper gebildeten Antikörper im Blut Hinweise auf die zugrundeliegende Infektion geben.

Blutsenkungsgeschwindigkeit, Blutbild und der Entzündungswert CRP sowie der Test auf HLA-B27 runden die Laboruntersuchungen ab. Das Ausmaß der Gelenkentzündung prüft die Ärzt*in anhand von Ultraschall und Röntgen. In der Frühphase ist auch das MRT hilfreich.

Manchmal wird das betroffene Gelenk punktiert. Im Falle eines Gelenkergusses lindert das Ablassen der Flüssigkeit die Schmerzen. Außerdem untersucht man das Punktat auf entzündliche Zellen. Die Punktion kann auch wichtig sein, um eine septische (eitrige) Arthritis auszuschließen: In diesem Fall lassen sich im Punktat die Erreger nachweisen.

Bei Verdacht auf begleitende Infektionen ist z. B. eine urologische, gynäkologische bzw. augenärztliche Untersuchung angezeigt.

Differenzialdiagnosen. Prinzipiell müssen alle Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises ausgeschlossen werden. Dazu gehören vor allem die Psoriasisarthritis und die rheumatoide Arthritis. Weitere wichtige Differenzialdiagnosen sind die septische Arthritis und die aktivierte Arthrose.

Behandlung

Antientzündliche Therapie. Oft reichen zur Behandlung der Gelenkbeschwerden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen aus. Sie lindern die Schmerzen und wirken gegen die Entzündung. Bei schweren Verläufen muss manchmal auch Kortison gegeben werden. In seltenen Fällen entwickelt sich eine chronische Arthritis, d. h. die Beschwerden halten über Monate an. Dann verordnen die Ärzt*innen antirheumatische Wirkstoffe wie Sulfasalazin oder Methotrexat.

Antibiotika. Wurde der auslösende Erreger gefunden, erhalten die Betroffenen kurzzeitig ein Antibiotikum. Die Antibiose hilft zwar nicht gegen die Arthritis, beseitigt aber die auslösenden Bakterien und damit die zugrundeliegende Darm- oder Harnwegsinfektion.

Eine Augenbeteiligung erfordert die unverzügliche Kontrolle und Therapie durch die Augenärzt*in. Vor allem bei Entzündung der Regenbogenhaut drohen bleibende Sehstörungen. Meist wird Kortison in Form von Augentropfen, manchmal auch systemisch als Tabletten verordnet.

Prognose

Je weniger Symptome die Patient*innen zeigen, desto günstiger ist die Prognose. In der Mehrzahl der Fälle heilt die reaktive Arthritis folgenlos aus. Etwa 20 % der Patient*innen leiden allerdings unter wiederkehrenden Beschwerden oder entwickeln eine chronische Arthritis.

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Prävention

Einige Erreger wie Chlamydien oder Gonokokken werden durch sexuelle Kontakte übertragen. Sie können nach einer Infektion der Geschlechtsorgane oder der Harnwege zu einer reaktiven Arthritis führen. Mit Kondomen lässt sich sowohl den urogenitalen Infektionen als auch einer nachfolgenden reaktiven Arthritis vorbeugen.

Weiterführende Informationen

Informationen zu Chlamydieninfektionen finden sich auf der Webseite des Robert Koch-Instituts.