Kampf der Fatigue


© mauritius images / Yuri Arcurs / Alamy / Alamy Stock Photos

Nach körperlicher oder seelischer Anstrengung erst einmal eine Pause zu brauchen, ist ganz normal. Meist kommt man mit Ausruhen wieder in Schwung. Bei der Fatigue ist das anders: Diese außerordentliche Erschöpfung tritt ohne Ursache auf und lässt sich durch Erholung nicht lindern. Wie können sich die Betroffenen helfen?

Seele, Geist und Körper erschöpft

Von einer Fatigue (der Begriff fatigo kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Ermüdung) spricht man, wenn Müdigkeit, Erschöpfung und Schwäche dauerhaft anhalten und sich durch Ausruhen oder Schlaf nicht lindern lassen. Erschöpft ist dabei nicht nur der Körper – auch Seele und Geist sind von der außerordentlichen Müdigkeit betroffen.

Fatiguepatient*innen haben keinerlei Energiereserven und fühlen sich schon bei geringsten Aktivitäten überlastet. Oft tritt die Erschöpfung plötzlich und ohne jede vorangegangene Anstrengung auf. Weitere Beschwerden sind

  • körperliche Schwäche,
  • Störungen von Konzentration und Gedächtnis,
  • Schlafstörungen,
  • Herzrasen und Schwindel als Zeichen von Kreislaufstörungen,
  • vermehrte Anfälligkeit für Infektionen und
  • depressive Verstimmung und Reizbarkeit.

All diese Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität stark. Den Betroffenen fehlt oft schon die Kraft für kleine Hausarbeiten. Viele schaffen es nicht mehr, an Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Wenn sie noch arbeiten gehen, muss auch ihr Berufsleben an die geringere Belastbarkeit angepasst werden. Durch diese Erschwernisse gelangen Menschen mit Fatigue häufig sozial in eine Isolation.

Woher kommt die Erschöpfung?

Die Ursachen der Fatigue sind nicht geklärt. Vermutet wird ein Zusammenspiel vieler Faktoren, die sowohl auf den Stoffwechsel als auch auf das Immunsystem wirken. Der Energiehaushalt ist gestört und auch geistig erholen sich Betroffene nur schwer.

Menschen mit Krebs oder chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Multiple Sklerose sind besonders oft von einer Fatigue betroffen. Aber auch Virusinfektionen können zu einem chronischen Fatigue-Syndrom führen – ein Beispiel dafür ist das Pfeiffersche Drüsenfieber, das durch das Ebstein-Barr-Virus ausgelöst wird. Weitere Auslöser sind psychische Belastungen, schwere Schlafstörungen und Nebenwirkungen von Medikamenten.

Daneben kann die Fatigue auch als eigenständige Erkrankung auftreten. Dann wird sie chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CSF) genannt. Als Ursache gelten Autoimmunmechanismen, die durch einen Trigger wie z.B. Virusinfektionen ausgelöst werden. Expert*innen bringen z.B. die Infektion mit dem Coronavirus mit ME/CSF in Zusammenhang: Vor der Coronapandemie sollen in Deutschland etwa 250000 Menschen von dieser Erkrankung betroffen gewesen sein, danach doppelt so viele. Beim ME/CSF sind vermutlich die Mitochondrien gestört, also die Kraftwerke der Zellen. Weil der Körper nicht ausreichend mit Energie versorgt werden kann, fährt der Stoffwechsel herunter – ähnlich wie bei Tieren im Winterschlaf. Dabei sind die Beschwerden noch ausgeprägter und langanhaltender als bei der „normalen“ Fatigue. Typisch für die Erkrankung ist, dass im Gegensatz zu den anderen Formen der Fatigue sich die Beschwerden nach Aktivität (wozu schon Gespräche oder Zähneputzen zählen) extrem verschlimmern können. Dieser Zustand wird Post-Exerzionale Malaise genannt.

Hinweis: Fatigue tritt sehr häufig bei Krebspatient*innen auf. 60-90% leiden während der Tumortherapie darunter, und bis zu 50% auch noch lange Zeit nach dem Ende der Behandlung.

Fatigue erkennen – eine Herausforderung

Lang wurde die Fatigue nicht richtig ernst genommen. Von Verwandten, vom Freundes- und Kollegenkreis und auch von behandelnden Ärzt*innen kam häufig der Rat, sich gründlich auszuruhen und sich dann „zusammenzureißen“. Inzwischen weiß man mehr über die Fatigue, weshalb die Erkrankung auch öfter diagnostiziert wird.

Die Schilderung der Beschwerden gibt meist schon deutliche Hinweise auf eine Fatigue. Entscheidend ist, dass die Abgeschlagenheit und Erschöpfung unabhängig von Belastungen auftreten und Ruhephasen keine Erholung bringen. Unterstützend für die Diagnose ist das Vorliegen typischer Ursachen, wie chronische Erkrankungen oder eine Krebsbehandlung. Desweiteren schließt die Ärzt*in mittels Laboruntersuchungen andere Ursachen für chronische Erschöpfung aus. Insbesondere sind das die Schilddrüsenunterfunktion, Hormonstörungen oder eine Blutarmut. Auch Depressionen führen oft zu einer abgrundtiefen Erschöpfung. Hier ist es anspruchsvoll zu unterscheiden, ob eine Fatigue die Verstimmung auslöst oder ob die Depression zur Abgeschlagenheit führt. Das ist wichtig, denn es beeinflusst die Therapie.

Beim Verdacht auf ein chronisches Fatigue-Syndrom können spezielle Fragebogen bei der Diagnose helfen. Darin wird eine detaillierte Liste von Kriterien abgefragt, die mindestens sechs Monate lang vorliegen müssen.

Hinweis: Ein Energietagebuch kann sowohl zur Diagnose als auch beim Leben mit Fatigue hilfreich sein. Darin notiert man die Aktivitäten, die Ruhezeiten und das Ausmaß der Beschwerden. So lassen sich Über- und Unterforderungen besser erkennen und ausbalancieren.

Fatigue behandeln

Liegt der Fatigue eine chronische Erkrankung zugrunde, sollte diese umfassend therapiert werden. Ob sich verantwortliche Medikamente absetzen oder austauschen lassen, muss die behandelnde Ärzt*in beurteilen. Insgesamt gibt es folgende therapeutische Optionen:

  • körperliches Training
  • psychologische Unterstützung
  • Mind-Body-Therapien
  • Medikamente

Training. Fatigue lässt sich durch körperliche Aktivität verringern. Damit beginnt man am besten schon im Alltag: Kleine Wege zu Fuß zurückzulegen statt mit dem Auto zu fahren und die Treppe statt des Lifts zu benutzen, erhöhen das Aktivitätslevel. Besonders wirksam ist Sport unter Anleitung. Am besten zwei- bis dreimal die Woche, wobei Ausdauer- und Krafttraining kombiniert werden sollten. Vorher ist es sinnvoll, sich ärztlich untersuchen zu lassen und einen Trainingsplan aufzustellen.

Als geeignete Sportarten für Menschen mit Fatigue gelten Nordic Walking, Radfahren und Yoga. Wichtig ist die Dosierung der Belastung. Am besten fängt man langsam an und steigert dann vorsichtig die Intensität. Training in der Gruppe ist für viele besonders motivierend. Wer das möchte, kann sich von seiner Ärzt*in Reha-Sport verodnen lassen. Je nach Rezept übernehmen die Krankenkassen für eine gewisse Anzahl von Stunden die Kosten.

Menschen mit einem chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CSF) müssen bei körperlichen Aktivitäten etwas aufpassen. Bei ihnen können Aktivitäten – insbesondere körperliches Training- zur Post-Exerzionalen Malaise führen, d.h. zu einer extremen Verschlechterung der Beschwerden. Diese Patient*innen benötigen ein speziell auf sie abgestimmtes Bewegungsprogramm, bei dem die Intensität nur sehr langsam und unter Aufsicht gesteigert werden sollte.

Psychologische Unterstützung. Menschen mit Fatigue profitieren von psychotherapeutischer Unterstützung. Neben der Aufklärung über die Erkrankung und Tipps zum Selbstmanagement hilft einigen Betroffenen auch die kognitive Verhaltenstherapie. Für Krebskranke stehen in der Regel Psychoonkolog*innen bereit, um Grunderkrankung und begleitende Fatigue besser zu bewältigen.

Mind-Body-Therapien. Für Menschen mit Fatigue ist es besonders wichtig, auf sich zu achten, die eigenen Belastungsgrenzen frühzeitig zu erkennen und vorsichtig mit sich umzugehen. Unterstützt wird dies durch verschiedene Verfahren wie Achtsamkeitstraining, Atemübungen, Tai Chi und QiGong. Auch Entspannungsübungen oder die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen sind nützliche Hilfsmittel.

Medikamente. Spezielle, bei Fatigue wirksame und zugelassene Medikamente gibt es nicht. Manchmal setzen Ärzt*innen antriebssteigernde Substanzen wie Amphetamine ein. In seltenen, besonders ausgeprägten Einzelfällen ist unter engmaschiger ärztlicher Aufsicht auch das aufmerksamkeitssteigernde Methylphenidat eine Option. Wird die Fatigue durch eine zugrundeliegende Depression ausgelöst, können Antidepressiva helfen. Ist dagegen eine Fatigue der Auslöser für depressive Verstimmungen, helfen Antidepressiva nicht. Für Ginseng wurde eine Wirksamkeit bei Krebspatient*innen mit Fatigue nachgewiesen. Vor der Einnahme ist jedoch ärztlicher Rat einzuholen: Ginsengpräparate gelten zwar als sicher, können aber bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente Wechselwirkungen hervorrufen.

Hinweis: Vor allem im Internet wird zur Behandlung der Erschöpfung Modafinil empfohlen. Dieses Medikament bessert zwar die Krankheit Schlafsucht (Narkolepsie). In Studien mit Fatiguekranken war die Substanz jedoch wirkungslos.

Den Alltag trotz Fatigue bewältigen

Die Fatigue ist für Betroffene eine große Belastung im Alltag. Um Beruf, Freizeit und Familienleben zu meistern, gilt es, Strategien für den Umgang mit der Erschöpfung zu entwickeln. Hilfreich sind dabei folgende Tipps:

  • Aktivitäten planen und einteilen. Um Überanstrengungen zu vermeiden, sollten Aktivitäten über den ganzen Tag hinweg verteilt und regelmäßige Pausen eingelegt werden.
  • Prioritäten setzen. Es ist wichtig, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren und weniger wichtiges wegzulassen. Um die Lebensfreude nicht zu verlieren sollten aber nicht nur Pflichten, sondern auch angenehme Tätigkeiten eingeplant werden.
  • Aufgaben delegieren. Auch wenn es vielleicht unangenehm oder ungewohnt ist: Viele zu erledigende Dinge lassen sich an Familienmitglieder, den Freundes- und Bekanntenkreis delegieren.
  • Termine dosieren. Wenn die Kraft fehlt, sollten Termine verschoben oder abgesagt werden. Trotzdem ist es wichtig, sich nicht zu isolieren. Denn Isolation und Einsamkeit können die Probleme verschärfen und zu depressiven Verstimmungen führen.
  • Auf Schlafhygiene achten. Am besten ist ein regelmäßiger Schlafrhythmus, bei dem man jeden Tag zur gleichen Zeit zu Bett geht und aufsteht. Entspannungstechniken und eine ruhige, dunkle Umgebung helfen beim Einschlafen.

Es ist wichtig, Freunde und Familie über die Erkrankung offen zu informieren. Oft fällt es anderen Menschen schwer, die Fatigue zu verstehen. In diesen Fällen können Informationsbroschüren oder Webseiten (z.B. die Seite der deutschen Fatigue-Gesellschaft) Abhilfe schaffen.

Ob Menschen mit Fatigue arbeitsfähig sind, hängt vom Ausmaß der Erschöpfung und der evtl. zugrundeliegenden Erkrankung ab. Bei schwerer Ausprägung kann eine Berentung erforderlich werden. Im Allgemeinen sind aber fünf Jahre nach Diagnose etwa 60% der Fatigue-Betroffenen berufstätig. Dabei werden häufig individuelle Lösungen gefunden. Nach einer langen Erkrankung ist z.B. die stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf möglich. Eine weitere Option ist, die wöchentliche Arbeitszeit zu verringern – evtl. mithilfe einer Erwerbsminderungsrente. Eventuell ist auch eine Umschulung sinnvoll – z.B., wenn die Arbeit körperlich oder geistig zu anstrengend ist.

Hinweis: In Selbsthilfegruppen können sich Betroffene über die Probleme im Alltag und im Berufsleben austauschen. Für ME/CFS-Kranke gibt es zahlreiche regionale Gruppen, zu finden über https://www.fatigatio.de/wir-fuer-sie/regionalgruppen.

Quellen: S3 Leitlinie Müdigkeit, Deutsche Fatigue Gesellschaft